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Patenschaft für eine vierköpfige Flüchtlingsfamilie aus Afghanistan

2018-10-01

Ein Erfahrungsbericht zur „sozialen Zeit“ von 2015 bis 2018

CSR-Mitarbeiterin: Sabine Kardos

Vorgeschichte

Als im Herbst 2015 die Zahl der Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl suchen, immer weiter steigt, wird mir klar, dass ich mich engagieren will. Ich möchte helfen – ganz im Sinne von „Wir schaffen das“ und bekomme die Chance über die Clément-Stiftung.

Die CSR Beratungsgesellschaft mbH „erlaubt“ nicht nur die Realisierung einer sozialen Woche, sondern fördert und lebt dieses soziale Engagement, indem jede/r CSR-Mitarbeiter/in hierfür freigestellt wird, bei uneingeschränkter Gehaltsfortzahlung und ohne Verlust von Urlaubstagen.

Die Stadt Hofheim hat eine Container-Siedlung an der Frankfurter Straße (in Sichtweite des Landratsamts) auf dem freien Feld aufgebaut und dort Flüchtlinge unterschiedlicher Nationen und Glaubensrichtungen untergebracht.

Andrea Clément, Vorsitzende der Clément-Stiftung, beginnt früh, sich mit viel Herz und Engagement um die Bewohner des Flüchtlingsheims in der Frankfurter Straße zu kümmern und avanciert im Laufe der Zeit zur Koordinatorin zwischen den Flüchtlingen, den ehrenamtlichen Helfern, Vertretern des Kreises und der Gemeinde, ortsansässigen Geschäftsleuten, Rechtsanwälten, BAMF, Ärzten und allen erdenklichen Organisationen und Helfern.

Im gemeinsamen Gespräch mit Andrea Clément und meinem Chef (Norbert Clément) finden wir schnell eine zielgerichtete Lösung: Aus einer „Sozialen Woche“, die CSR allen Mitarbeitern anbietet, machen wir alternativ „Soziale Zeit“! Das bedeutet, dass ich meine soziale Arbeit in meinen Arbeitstag flexibel integrieren darf, soweit es meine Aufgaben bei der CSR erlauben.

Ich übernehme die Patenschaft für eine vierköpfige Flüchtlingsfamilie aus Afghanistan. Ohne wirklich zu wissen, was diese Patenschaft bedeuten wird und welchen Herausforderungen ich mich in den nächsten 3 Jahren stellen muss, glaube ich, meine Chance zu helfen gefunden zu haben.

Nachdem alle Voraussetzungen geklärt sind, beginnt im Herbst 2015 meine soziale Zeit, von der ich nun ein wenig berichten werde:

Das Kennenlernen

Zunächst möchte ich, dass sich meine eigene Familie und meine Patenfamilie kennenlernen. Ich lade meinen Partner mit seinen Zwillingen und „meine“ Flüchtlingsfamilie am Wochenende zu einem gemeinsamen Nachmittag in den nahegelegenen Krifteler Freizeitpark ein. Wir Frauen haben ein kleines Picknick vorbereitet. Für meine Familie ist es der erste Kontakt mit der afghanischen Küche. Sie sind begeistert und lassen sich das Fladenbrot und andere Köstlichkeiten schmecken. Ich habe darauf geachtet, dass in unserem Picknickkorb keine Speisen sind, die gemäß der hinduistischen Religion verboten sind und so fehlt heute mal Rind auf dem Speiseplan. Wir alle genießen die neuen Erfahrungen und beschließen das Essen mit einem Minigolfspiel. Auch wenn das Spiel für meine Paten eher ungewohnt ist, haben wir alle eine Menge Spaß und es erleichtert die Kommunikation und das Kennenlernen. Während die Kinder meiner Flüchtlingsfamilie, zwei Jungen im Alter von 10 und 13, schon ein wenig Deutsch sprechen, fällt es den Eltern noch sehr schwer und so versuchen wir es mit Englisch und dann mit Zeichensprache. Es ist für uns alle ein schöner Nachmittag.

Der Anfang ist gemacht und ich steige tiefer in die Betreuung der Familie ein. Darüber hinaus erhalte ich hin und wieder Einblick in die Koordinationsarbeit von Frau Clément, wenn ich sie bei ihrer Arbeit unterstütze. Ich telefoniere mit Kreisen, Gemeinden und Ärzten, suche Übersetzer auf und vereinbare Termine.

Weihnachten 2015

Während wir uns in Europa langsam auf die Vorweihnachtszeit einstellen, rückt für meine hinduistische Familie ihr Lichterfest „Diwali“ immer näher. Dieses Fest – Ende Oktober/Anfang November – kann aufgrund seiner spirituellen sowie seiner sozialen Bedeutung und seines fröhlichen Charakters mit Weihnachten verglichen werden. Für meine Patenfamilie ist Diwali auch gleichzeitig der Neujahrstag.

   

Diwali in der Flüchtlingsunterkunft

Weihnachten bei uns zu Hause in Kriftel

Dieses Weihnachten ist für uns ein wirklich großes Familienfest. Ich habe meine Familien um einen gemeinsamen Tisch versammelt. Es ist ein schöner Abend und ein Austausch von Werten und Traditionen; ist es doch wichtig, auch die besonderen Feste einer fremden Kultur zu verstehen.

Das Jahr 2016

Im Verlauf von 2016 gibt es auch ganz andere Tage, Tage an denen ich verzweifelt versuche, den Rechtsanwalt der Familie zu erreichen, weil diese im Rahmen der Aufnahmeprozedur die Anhörung versäumt hat, da wieder einmal die Post falsch zugestellt wurde und die bürokratischen Fristen versäumt wurden und nun die Abschiebung droht. Es sind Tage voller Furcht, auch für mich, da die vier mir längst ans Herz gewachsen sind.

Mehr und mehr erhalte ich Aufgaben und gerate in Situationen, auf die mich niemand vorbereitet hat. Es gibt für ehrenamtliche Helfer (noch) keine Vorbereitungskurse. Auf den Zustrom im Sommer 2015 so vieler schutzsuchender Menschen war niemand vorbereitet. Wir Helfer treffen uns zum Austausch in einem Café oder Restaurant der Stadt oder Andrea Clément organisiert ein Treffen in ihrem Haus. Wir unterstützen uns gegenseitig so gut wir können und tauschen unsere Informationen und Erfahrungen (es gilt die Schweigepflicht nach außen) in der Flüchtlingshilfe aus. Alle sagen mir, dass ich mich nicht zu sehr emotional engagieren soll, doch wie soll ich das machen? Es sind Menschen und ich kann ihnen nicht weniger Mitgefühl und Hilfe zukommen lassen, nur weil sie einen anderen Glauben haben oder aus einem anderen Land stammen.

Team des AK-Asyl Hofheim Frankfurter Straße (2017), Presse Information Magistrat Hofheim

 

Zusammen mit anderen Eltern setze ich mich dafür ein, dass der jüngste Sohn zusammen mit seinen bisherigen Grundschulfreunden auch auf das hiesige Gymnasium wechseln darf. Seine Noten sind sehr gut und wir können nicht nachvollziehen, warum nur er im neuen Schuljahr den weiten Weg nach Eppstein antreten soll. Es gelingt uns und bis heute besucht er erfolgreich das Gymnasium in Hofheim.
Ich vereinbare mit der Familie feste Betreuungsnachmittage in der Flüchtlingsunterkunft.


Das Jahr 2017

Im Rahmen der Vor- und Nachbereitung der Anhörung beim BAMF erfahre ich viele Details zum Fluchtgrund und den Erniedrigungen, denen meine Schützlinge in ihrer einstigen Heimat ausgesetzt waren. Immer wieder sind Gespräche mit dem Anwalt erforderlich, um von der monatlichen Duldung zu einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung zu gelangen. Nach all dem Grauenhaften, was dieser Familie in den letzten Jahren widerfahren ist, kommt nun auch noch die schwer erträgliche Ungewissheit der drohenden Abschiebung hinzu. Ein emotionaler Abstand fällt mir schwer und so leide ich mit. Und doch gibt es auch in dieser Phase viele schöne Ereignisse.

   

Grillfest im Garten in Diedenbergen

 

Die Eltern meiner Patenfamilie kümmern sich um einen kleinen Garten meiner Bekannten und bauen dort Gemüse an, das bringt unter anderem auch Abwechslung in ihren Alltag, denn arbeiten dürfen beide leider immer noch nicht. Allerdings geben sie den Garten nach einigen Monaten auf, der Weg dorthin ist weit und der fehlende Wasseranschluss macht die Gartenarbeit nicht leichter.

Für die Kinder beginnt nach den Sommerferien ein neues Schuljahr und der Jüngste engagiert sich jetzt im Volleyballverein, während der Große lieber in ein Fitness-Studio geht.

So geht dieses Jahr relativ entspannt zu Ende.

   

Eis aus Schnee, Glasnudeln und verschiedenem Sirup

 

Das Jahr 2018

Die Arbeitssuche für die Eltern und das Erlernen der deutschen Sprache stehen im Jahr 2018 ganz oben auf der Agenda. Ich versuche immer wieder, für den Vater einen Praktikumsplatz zu finden, da die Eltern endlich eine eingeschränkte Arbeitserlaubnis erhalten haben. Gar nicht so leicht, denn noch immer stellt die Sprache ein großes Hindernis dar. Sprachkurse sind gut und wichtig, doch meiner Familie fällt es auch schwer, sich außerhalb ihrer „Gruppen“ zu bewegen. Dies ist ihrer höflichen Zurückhaltung geschuldet, die ich bei jedem meiner Besuche erfahre. Ihr Gast zu sein, ist immer wieder eine wundervolle Erfahrung. Obwohl sie selbst nicht viel haben, teilen sie immer mit mir.

Gemeinsames Essen in der Küche der Unterkunft

Wöchentlich gebe ich den Jungs Nachhilfe in Französisch, Biologie bzw. in den Fächern, die anstehen. Wir spielen zu fünft Gemeinschaftsspiele, bei denen Deutsch gesprochen werden muss. Oder ich helfe bei der Vorbereitung einer Präsentation über den großen Zauberer (bin ich doch selbst Harry Potter-Fan).

 

Im Herbst 2018

Nach drei Jahren intensiver Betreuung ist es an der Zeit, dass meine Patenfamilie zunehmend selbständig wird. Auch wenn es mir sehr schwerfällt, beschließen wir, dass ich zukünftig nur einmal im Monat (ansonsten natürlich in dringenden Fällen) zu ihnen komme. In der Praxis funktioniert das freilich nicht so stringent, gibt es doch immer wieder Alltagsthemen, die kurzfristig zu lösen sind.

 

Fazit

Meine „soziale Woche“ verlief ganz anders, als ich es mir zu Beginn vorstellte. Oft habe ich meine eigenen Bedürfnisse vernachlässigt und das Bemühen, meinen beiden Familien gerecht zu werden, wurde manchmal zum Spagat. Dennoch bin ich überaus dankbar und glücklich, dass ich diese Familie in einer schwierigen Phase begleiten darf. Dass ich ihr bei der Integration in Deutschland helfen kann, ihre Fortschritte miterlebe und wir uns im Austausch der kulturellen Gegebenheiten gegenseitig immer mehr kennenlernen.

Ich freue mich auf den Tag, an dem sie ihre Aufenthaltsgenehmigung erhalten, die Eltern Arbeit finden und sie in einer „eigenen“ Wohnung leben werden.

Meine Patenfamilie

 

Links:

https://clement-stiftung.de

https://de.wikipedia.org/wiki/Fl%C3%BCchtlingskrise_ab_2015_in_Deutschland#Zahlen_und_Fakten_zur_Fl%C3%BCchtlingszuwan-derung

Alle Fotos wurden mit Genehmigung von der Familie eingestellt oder von der Website https://clement-stiftung.de/ entnommen.

 

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