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EVIM Behindertenhilfe/Werkstatt Schlocker-Stiftung Hattersheim am Main

2011-08-22

Ein Erfahrungsbericht zur „sozialen Woche“ vom 22.08. bis 26.08.2011

CSR-Mitarbeiterin: Katrin Laßleben

 

Vorgeschichte

Seit meiner Kindheit wohne ich nun in Hattersheim und habe noch den Bau der Werkstatt-Gebäude der Schlocker-Stiftung miterlebt. Eine Einrichtung für Behinderte am Stadtrand gelegen, die schon allein aufgrund ihrer Lage keine Berührungspunkte zu „meiner Welt“ aufkommen ließ. „Das ist nur etwas für Behinderte“ war meine Meinung, mit der ich sicherlich nicht alleine stand, und die ein weiteres Nachdenken nicht erforderlich machte. An der S-Bahn-Station stiegen von Zeit zu Zeit ein paar behinderte Menschen in den Zug ein, die ich verstohlen im Schutze meines aufgeschlagenen Buches beobachtete.

Im Sommer 2011 traf ich eine ortsansässige Bekannte, die, wie sich herausstellte, in der Werkstatt Schlocker-Stiftung arbeitet. Ich erzählte ihr, dass ich noch nie Kontakt zu behinderten Menschen gehabt hätte und überhaupt nicht weiß, wie ich mich ihnen gegenüber verhalten soll. „Den Kontakt kann ich herstellen, wenn Du magst“ schlug sie voller Freude vor und ich entgegnete ihr „Sehr gerne. Und Du wirst es nicht glauben, aber ich habe auch den richtigen Arbeitgeber dafür.“ Die CSR Beratungsgesellschaft mbH „erlaubt“ nicht nur die Realisierung einer sozialen Woche, sondern fördert und lebt dieses soziale Engagement, indem jeder CSR-Mitarbeiter hierfür freigestellt wird bei uneingeschränkter Gehaltsfortzahlung und ohne Verlust von Urlaubstagen. So kam der Stein ins Rollen …

 

Wie alles so „normal“ wurde

Nachdem ich mich ein paar Tage zuvor beim Werkstattleiter der Schlocker-Stiftung, Herrn Peter Griebel, vorgestellt hatte, begann ich nun meinen ersten Tag in der „Industriellen Dienstleistung – Abteilung 5 (IDL-5)“. Diese Abteilung unterscheidet sich von den anderen IDL-Abteilungen dahingehend, dass hier Menschen beschäftigt sind, die aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters und/oder stärkeren geistigen Beeinträchtigung ohne Leistungsdruck arbeiten können. Aufträge von beispielsweise großen Automobilherstellern oder von Firmen aus dem elektro- und kommunikationstechnischen Bereich liefern sinnvolle und qualifizierte Beschäftigungen mit dem Ziel, Automobilzubehör zu produzieren oder konfektionierende Dienstleistungen (Verpackung) zu erbringen.

Für mich war es sehr interessant, zu erfahren, in wie viel kleine Teilschritte ein Produktionsprozess gegliedert werden kann, sodass die Fertigung für keinen Mitarbeiter eine Überforderung darstellt. Übrigens das habe ich auch sehr schnell gelernt, dass wir in der Werkstatt der Schlocker-Stiftung wenig oder gar nicht von behinderten Menschen sprechen, sondern von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen – und das zu Recht!!! Qualitätskontrollen werden hier von dem betreuenden Personal (Gruppenleitung) übernommen, das neben seiner aufsichtführenden Funktion einer liebevollen Pflege und herzlichen Umgang gegenüber den Mitarbeitern/-innen nachkommt. Kein leichter Job, wenn man bedenkt, dass beispielsweise auch der begleitende Toilettengang zu den Aufgaben dieses Pflegeberufs gehört.

Am ersten Tag hatte ich das Gefühl, dass Tausende von Eindrücken auf mich einprasselten. Es war ein herzliches Willkommen seitens betreuendes Personal und auch – was ich nicht erwartet hatte – seitens der Mitarbeiter/-innen. Der erste Kontakt zu Menschen mit einer psychischen Erkrankung war hergestellt. Mir wurden die Hände geschüttelt und Fragen gestellt, warum und wie lange ich in der Werkstatt der Schlocker-Stiftung sei und mir wurde stolz die vollbrachte Leistung vorgeführt, wie viel Produkte an diesem Tag bereits gefertigt wurden. Die Gruppenleiterin ließ mich bewusst am ersten Tag nur erst einmal ein wenig „schnuppern“.

Am darauffolgenden Tag wurde ich von der Gruppenleiterin auf dem gesamten Werkstatt-Gelände der Schlocker-Stiftung umher geführt und allen Abteilungen vorgestellt. So besuchte ich die anderen IDL-Gruppen (Verpackung, Montage, Logistik), Abteilungen der Bürokommunikation (Scan-Dienstleistung, Mikroverfilmung, Digitalisierung, Aktenvernichtung, Versand/Mailing) und die handwerklichen Bereiche (Gärtnerei, Bäckerei, Fahrradwerkstatt, Cook & Chill, Kantine/Hauswirtschaft). Ich erfuhr so viel über die Arbeit der Werkstatt, dass ich aus dem Staunen gar nicht mehr herauskam: Zum Beispiel werden im „Cook & Chill“-Bereich über 2000 Essen täglich gefertigt und an die eigene Kantine, Kliniken, (Alten-)Wohnheime und andere Einrichtungen sowie an externe Firmen ausgeliefert. Hier steht die Herstellung einer großen Menge bei kontinuierlicher Qualität unter zeitlichem Druck und vor allem unter Einhaltung aller hygienischen Auflagen im Vordergrund. Unangekündigte Besuche des Gesundheitsamtes sind hier genauso üblich wie in einer „normalen“ Großküche auch.

Während meines Aufenthaltes wurden auftragsgemäß in der „Bürokommunikation“ große Mengen von Röntgen- und Ultraschallbildern vernichtet. Dabei wurden unterschiedliche Materialien nach ihrer Recycle-Fähigkeit vorher voneinander getrennt. Schwerpunkt hier ist die Einhaltung der Vertraulichkeit und die Verlässlichkeit, dass alle Dokumente ordnungsgemäß vernichtet werden.

Ein relativ neuer Bereich ist die „Fahrradwerkstatt“: Hier kann man sich nicht nur sein Fahrrad reparieren lassen, sondern auch Elektro-Fahrräder für Ausflüge ausleihen.

Die Gärtnerei war im August zwar geschlossen, aber die ersten „Weihnachtssterne“ wurden dort schon groß gezogen. Allerdings wird hier nicht nur für die Aufzucht der pflanzlichen Ware in den eigenen Verkaufsräumen gesorgt, sondern die Mitarbeiter/-innen vollführen unter anderem auch Spielplatzpflege und das Mähen, Bepflanzen und die Pflege öffentlicher und privater Grünflächen sowie die Grabpflege.

Darüber hinaus beschäftigt dieses außergewöhnliche „Unternehmen“ eine „Fachkraft für berufliche Integration“, die Praktika, Beschäftigungs- und Arbeitsverhältnisse vermittelt und Mitarbeiter/-innen bei der Wiedereingliederung begleitet, um das zentrale Ziel der Schlocker-Stiftung, nämlich die Wiedereingliederung behinderter oder psychisch erkrankter Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt, zu erreichen.

Alles in allem ein Großbetrieb von A-Z mit Telefonzentrale, Verwaltung, Akquise, Qualitätsmanagement, Produktionsstellen und Service-Bereichen. Ein ganz „normales“ wirtschaftliches Unternehmen. Und ganz ehrlich, vor meinen Augen ist es mehr und mehr verschwommen, dass die Mitarbeiter/-innen eine Behinderung haben. Es war einfach nicht mehr wichtig.

Der dritte Tag war ein aufregender Tag: Ich wurde in der Kantine eingesetzt. Weiße Haube, weiße Schürze, desinfizierte Hände und Einweghandschuhe erlaubten es auch mir, in der Kantinenküche zu arbeiten. Auch hier war Schnelligkeit gefragt, um das Essen zur planmäßigen Mittagszeit fertigzustellen, d.h. hier haben wir alle angepackt, um Desserts und Salate zu portionieren während drei unterschiedliche Menüs (Vollkost, leichte Kost und vegetarische Küche) im Ofen erhitzt wurden. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass wir an diesem Tag über 30°C Außentemperatur hatten und es in der Küche nicht gerade kälter war. Dann kamen wir selbst in den Genuss, unser vorbereitetes Essen gemeinsam zu verspeisen. Es war eine lustige Runde, deren Gruppenleiterin, eine Hauswirtschaftsmeisterin, wie sie im Buche steht, nicht zögerte, während der Vorbereitungen ein gemeinsames Lied anzustimmen. Ab 11:30 Uhr wurde das Essen an alle übrigen Mitarbeiter/-innen ausgegeben, wobei eine Mitarbeiterin darauf achtete, dass Allergiker und/oder Diabetiker ihre Sondernahrung erhielten.

Am vierten und vorletzten Tag meldete ich mich zum Dienst in der Bäckerei. Auch hier hatte ich wieder den Eindruck einer hervorragenden Organisation, dass alles Hand in Hand läuft, völlig unabhängig davon, ob es sich um einen Angestellten mit oder ohne Behinderung handelt. Der dortige Bäckermeister und Gruppenleiter erklärte mir, dass die Vorrichtungen zum Kühlen und Gefrieren der produzierten Backwaren mittlerweile fast wichtiger geworden sind als die Herde und Öfen. Alle Gerätschaften sind aus Edelstahl und kosten ein enormes Geld, angefangen bei einer geeichten Waage für € 700,00 bis hin zum Großgerät, das bis zu € 70.000,00 kostet. Auch hier wird nicht in kleinen „haushaltstypischen“ Mengen gedacht, sondern „im großen Stil“. Wie im „Cook & Chill“ werden auch hier auswärtige Einrichtungen (Kliniken, Wohnheime, Cafés usw.) beliefert. Außerdem ist die Bäckerei jeden Freitag auf dem Hattersheimer Wochenmarkt mit einem Stand vertreten. Ich kann nur sagen: Die „Schlocker-Kruste“ (Brotlaib) ist sehr zu empfehlen!!! Auch wenn es mir wie am Vortag hier in der Abteilung sehr viel Spaß gemacht hat, so war es mir doch recht unangenehm, dass ich an diesem Tag neben zwei linker Hände auch noch mit einer fragwürdigen Gehirnaktivität ausgerüstet war: Ich hob einen noch nicht gebackenen Blechkuchen an, nicht wissend, dass eine Seite des Blechrandes beweglich ist. Der Teig verrutschte und die schöne Dekoration war zerstört. Außerdem schaffte ich es nach kurz zuvor erfolgter Anweisung über das korrekte Auflegen von Salzbrezeln und Brotteigen komplett anders zu verfahren als gezeigt. Mit anderen Worten: Der Einzige, der dort „behindert“ war, war ich!

Am Spätnachmittag hatte ich abschließend noch Gelegenheit, die Wohnanlage, in der einige Mitarbeiter-/innen der Werkstatt der Schlocker-Stiftung leben, zu besuchen. Es sind kleine Häuser im Reihenhausstil mit Terasse, gemeinsamer Küche, Bädern und Wohnbereichen. Jeder verfügt dort über sein eigenes Zimmer, das mit persönlichen Gegenständen eingerichtet ist. Manche Hausbewohner sind auch zu zweit in einem Zimmer untergebracht. Das Wohnen wird betreut, d.h. aufsichtführende Personen sind dort ab Werkstatt-Feierabend über die Nacht hinweg anzutreffen. Die Wohnanlage lud auf jeden Fall zum Wohlfühlen ein und war funktional, aber freundlich eingerichtet.

Jetzt hatte ich wirklich alles gesehen …

 

Abschied

Und schon war die kurzweilige Woche um, der Tag des Abschieds war gekommen. Natürlich wollte ich nicht mit leeren Händen kommen. Also backte ich am Vorabend Kuchen für die Mitarbeiter/-innen der IDL-5 und der Kantine und nahm für einige Gruppenleiter/Betreuer kleine Geschenke mit als Dankeschön für

  • eine beeindruckende Woche
  • einen herzlichen Empfang
  • ein fortwährendes Interesse, mir alles zu zeigen und zu erklären
  • den Einblick in eine für mich „fremde“ Welt
  • den lockeren Umgang und gemeinsamen Spaß
  • die Leichtigkeit im Umgang mit allen Mitmenschen

Womit ich aber nicht gerechnet hatte, das waren die netten Abschiedsworte, die herzlichen Umarmungen, die Aussagen wie „Schade, dass du gehst“ und die kleinen Geschenke. Die Tränen stiegen mir dann endgültig in die Augen als mir noch ein Strauß Sonnenblumen überreicht wurde. Ich nutze hier und jetzt nochmal die Gelegenheit, Euch zu sagen: „Hey, Ihr seid wirklich klasse und ich werde Euch vermissen. Vielen, vielen Dank für Alles!!!!“

 

Zum Nachdenken

Wenn ich nachmittags das Werkstatt-Gelände der Schlocker-Stiftung verließ, begann die Verarbeitung aller Eindrücke, teilweise bis spät in die Nacht hinein. Ich dachte über die Mitarbeiter/-innen der Werkstatt nach, über ihren Alltag, über ihr Leben, über ihre Erkrankung. Doch waren es nicht die von Geburt an behinderten Menschen, die mich so aufwühlten, sondern die Einzelschicksale von vormals gesunden Menschen, die aufgrund eines Traumas, eines (Sport-)Unfalls und/oder eines Schlaganfalls ihrem bisherigen Leben nicht mehr folgen konnten und nun hier in der EVIM-Werkstatt Schlocker-Stiftung beschäftigt sind, darunter zum Beispiel ein vor der Erkrankung angehender Arzt. Es wird ganz klar, dass der Schritt, der Augenblick, die Sekunde vom gesunden Menschen zum seelisch erkrankten Menschen sehr klein ist. Ich glaube, das sollte man sich immer mal wieder bewusst machen.


Absolut empfehlenswert …

... eine solche Erfahrung zu machen

… die Möglichkeit zu nutzen, zu einer sozialen Woche anzutreten

… am Samstag, den 1. Oktober 2011, die EVIM Schlocker-Stiftung zum Erntedankfest zu besuchen

 

Alle Fotos wurden mit freundlicher Genehmigung der EVIM Werkstatt Schlocker-Stiftung der Website http://www.evim-werkstaetten.de/index_h.htm entnommen

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